Kasselmarathon- Debüt mit allem, was einen Marathon ausmacht

Tobias Roth nahm am ersten Oktober beim Kasselmarathon zum ersten Mal die Marathonstrecke in Angriff:

“Das war er nun – mein erster Marathon. So viele Monate habe ich darauf hin gefiebert, unzählige Trainingskilometer runtergespult, mich und mein Umfeld belastet und dann ist es innerhalb von wenigen Stunden vorbei. Aber trotz dieser Tatsache hat es sich gelohnt und rückblickend würde ich es genau so wieder machen.

Und so schnell ging es dann doch wieder nicht. Ich habe noch nie im meinem Leben so sehr gelitten und bin gleichzeitig so stolz und glücklich gewesen. Der Lauf war ein Auf und Ab, geprägt von unterschiedlichsten Phasen, die ich mit mir und den vor mir liegenden Kilometern ausmachen musste.

Es begann zunächst gut. Ich fühlte mich fit und war mental bereit. Hinzu kam, dass das Wetter sich von der besten Seite zeigte. Es war also alles angerichtet und die ersten Kilometer fühlten sich fantastisch an. Ich genoss das Laufen und sog die Eindrücke auf. Die vorgegebene Pace von 4:02 – 4:05 war genau das, was meine Beine laufen wollten. Erste Probleme entstanden allerdings, als ich merkte, dass keine Gruppe dieses Tempo auf längere Dauer laufen wollte und so musste ich mich fügen und mich auf ein von Kilometer zu Kilometer wechselndes Tempo einlassen. Nicht ideal, aber meinen ersten Marathon komplett im Alleingang bewältigen, das wollte ich nun wirklich nicht. Und dann passierte genau das, was nicht passieren sollte. Bereits bei Kilometer 7-8 bekam ich Seitenstiche, die sich in richtige Magenkrämpfe steigerten und das bereits zu Beginn und ohne einen einzigen Schluck getrunken oder sonst irgend etwas zu mir genommen zu haben. Es schien, als wenn das Schicksal, welches mich in Wetzlar bei meinem 30km Vorbereitungslauf ereilt hatte und mich zwang, das Rennen zu Ende zu gehen, wieder einholen würde. Es ging so weit, dass ich bereits bei KM 10 ans Aufhören dachte. So hatte ich mir das wirklich nicht vorgestellt. Doch woher kamen diese Probleme? Hatte ich vielleicht einfach zu wenig in mir? Bin ich das Rennen mit zu wenigen Reserven angegangen? Ich klammerte mich an diesen Gedanken fest und griff meine linke Tasche, in der ich mein Notfall-Gel eingesteckt hatte. Voller Entsetzen stellte ich jedoch fest, dass ich dieses bereits verloren hatte und so hieß es kämpfen und bis zu der ersten, geplanten Ration bei KM 15 auszuhalten. Diese half mir dann tatsächlich und ich merkte bereits nach kurzer Zeit, wie neue Kraft in mir aufkam und sich Erleichterung in mir breit machte.

Die nächsten Kilometer liefen danach gut, jedoch merkte ich, dass die Krämpfe ihre Spuren hinterlassen hatten. Sobald es auch nur leicht bergab ging und meine Schritte härter auf den Asphalt knallten, spürte ich, dass meine Bauchmuskulatur angegriffen war und schmerzte. Hinzu kam, dass ich den Anschluss zu dem einzigen Läufer, der in etwa mein Tempo gehen wollte, verloren hatte. Zwischen uns lagen gut und gerne 50 – 100 Meter, die es nun zuzulaufen galt. Denn alleine laufen war nach wie vor die schlechteste Option. Daher war ich um so erleichterter, als mir dieses Vorhaben bereits vor KM 20 gelang und ich nun ein paar Meter im Windschatten laufen konnte. Denn diesen konnte man heute in manchen Passagen der Strecke deutlich spüren. Die Halbmarathon-Marke erreichte ich planmäßig bei 1:26:46 und mein körperlicher Zustand war zu diesem Zeitpunkt so gut wie nach dem Start nicht mehr. Die regelmäßigen Verpflegungen, die mir durch meine Vereinskollegen alle 5km gereicht wurden, stimmten meinen Magen zusätzlich zufrieden. Die Zeichen standen also gut und auch mein Trainer, der mich über weite Teile der Strecke begleitete und mir Tipps gab, war zufrieden und zuversichtlich. Hier war heute wieder was möglich.

Dann zeigte sich jedoch ab KM 27, dass der Marathon seine eigenen Gesetze hat und die Keule traf mich zum ersten Mal leicht. Das Streckenprofil veränderte sich zu diesem Zeitpunkt deutlich – ab jetzt standen Höhenmeter an. Zwar keine extremen Höhenmeter, aber genau bei einem empfindlichen Teil der Strecke. Ich drosselte mein Tempo um ca. 20 Sekunden pro Kilometer, um nicht zu früh im Rennen mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Immerhin lagen noch 15km vor mir. Zu viel, um komplett auf dem Zahnfleisch zu laufen. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass die Wunsch-Zielzeit von 2:53:00 nur noch sehr schwer zu erreichen sein würde, zumal ich logischerweise meinen Wegbegleiter wieder einmal ziehen lassen musste. Also hieß es ab jetzt: Alleine laufen. Die Strecke, die Zeit und ich – 15km lang. Trotz alledem hatte ich mir ein Mindestziel mit ins Rennen genommen. Die 3-Stunden Marke sollte definitiv geknackt werden. Und so kämpfte ich ab jetzt für dieses Ziel und war fest entschlossen, es auch zu erreichen. Noch hatte ich Puffer, noch hatte ich Kraft. Die hügelige Phase des Marathons erstreckte sich bis ca. KM 36 und es schien, als wenn mir genau am “Gipfel” irgendjemand den Stecker gezogen hätte. Denn ab diesem Zeitpunkt, genau dem Punkt der Strecke, ab dem es nur noch bergab und geradeaus ging, brach ich ein und nichts ging mehr. Da war sie, die Grenze meines Körpers, an der ich nun stand. Meine Muskeln schmerzten, mein Magen litt mittlerweile immer mehr an den Krämpfen vom Anfang und sämtliche Kraft war aus meinem Körper gewichen. Ich war am Ende. Selbst mein Minimalziel rückte zu diesem Zeitpunkt in weite, weite Ferne. Alle Zellen meines Körpers sendeten Signale an mein Gehirn: „Bleib stehen, gib auf!“ Und wieder kam dieser Gedanke des Aufgebens für einen Moment in mir auf. Doch dann sah ich meine Leute an der Strecke, die mich anfeuerten und an mich glaubten. Ich erinnerte mich an die unzähligen Trainingsstunden und den Aufwand, den ich in dieses Projekt Marathon gesteckt hatte. Ich konnte, ich durfte nicht aufhören. Das würde ich mir nie verzeihen! Also lief ich weiter. Ich lief einfach, ohne Plan, ohne Gruppe und ohne Kraft, aber mit Wille. Die Geschwindigkeit wurde langsamer, die Pace pendelte sich bei 4:40 bis 4:50 ein. Meine Körperhaltung war katastrophal. Aber ich lief. Weiter und weiter. Das nächste Schild – KM 38, dann KM 39. Mir wird kalt, mein Blick trüb, ich nehme nur noch das Nötigste um mich herum war. Meine Konzentration liegt auf der vor mir liegenden Strecke.

KM 40 – die letzte Verpflegung. Ein letzter Schluck, noch ein paar Kohlenhydrate, mein Körper fühlt sich ausgemergelt an. Mittlerweile habe ich Probleme, meine Beine voreinander zu sortieren. KM 41 – meine Leute an der Strecke, die auf dem Fahrrad unterwegs und somit immer wieder für mich da waren, geben ebenfalls noch einmal alles. Noch 1km, ich kann den Stadionsprecher hören – gleich ist es geschafft. Dann sehe ich das Auestadion direkt vor mir, ich schaffe es! Dort warten meine Freunde und meine Familie und drücken die Daumen. Für manche von ihnen waren die letzten Minuten wohl ähnlich lange wie für mich. Ein hektischer Blick auf die Uhr. Was ist mit aus meinem Minimalziel geworden? Die Uhr zeigt 2:58:XX und ich habe noch ca. 400 Meter vor mir. Das kannst du schaffen, schreie ich mir förmlich selbst zu. Ich biege ins Stadion ein, noch ca. 300m zu laufen. Der Stadionsprecher kommentiert meine Gedanken und spricht es aus – das wird eng. Ich versuche noch einmal das wirklich Allerletzte aus mir rauszuholen und versuche den notwendigen, abschließenden Sprint hinzulegen. Doch ich kann nicht mehr. Ich habe keine Kraft mehr. So sehr ich auch will, meine Beine gehorchen mir nicht mehr. Kurz vor der Zielgeraden gucke ich auf die Uhr. Noch 100m und nur noch 10 Sekunden. Das wars. Ich schaffe es nicht. Ich quäle mich die letzten Meter ins Ziel und erreiche es bei 3:00:13 als 17ter Gesamt und 5ter meine Altersklasse. Ich falle auf den Boden zusammen und versuche mit mir und dem gerade Erlebten klar zu kommen. Langsam beruhigt sich mein Puls und mein Gedanken werden klarer. Und sofort realisiere ich, was ich hier in den letzten 3 Stunde und 13 Sekunden geleistet habe. Es ist keine Schande, dass ich bei meinem ersten Marathon nicht unter 3 Stunden geblieben bin. Es ist keine Schande, dass ich nicht das perfekte Rennen gelaufen bin. Aber mal ehrlich, sollte man das immer erwarten? Ich habe meinen ersten Marathon im ersten Versuch gefinisht und bin dabei nur knapp hinter den Erwartungen geblieben. Ich kann ruhigen Gewissens behaupten, dass ich alles gegeben habe. Ich bin an meine Grenzen und vielleicht sogar etwas darüber gegangen und habe trotz großer Probleme, Zweifel und Schmerzen nicht aufgegeben. Genau darum geht es und darüber bin ich sehr glücklich.

Danke an alle, die mich heute und in den letzten Monaten unterstützt und damit einen erheblichen Anteil an dieser Leistung heute haben. Ohne diese Hilfe, ohne euch, wäre das nicht möglich gewesen.

Ein besondere Dank an meinen Trainer Arne, der mich verletzungsfrei und erfolgreich durch die Vorbereitung geleitet hat und meine Freundin Hanna, die viel Verständnis und Geduld aufgebracht hat.”

Einige Bilder gibt es bei Flickr.